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Woher kommt mein Vaginismus?

Erfahrungsbericht von Charlotte Zach 

[Triggerwarnung: Im folgenden Text werden körperliche Gewalterfahrungen von Menschen mit Behinderung thematisiert]

Viele Menschen mit Behinderung werden ständig angefasst. Gewollt. Ungewollt. Nötiger und unnötiger Weise. Viele von uns wachsen schon damit auf. Physiotherapie. Ergotherapie. Arztbesuche. Behandlungen. Operationen. Korrekturen. Schienen. Fixierungen. Gestresstes Pflegepersonal.

Häufig führt kein Weg daran vorbei. Das bedeutet aber nicht, dass es keinen Einfluss hat auf uns. Dass es keine Spuren hinterlässt. Es prägt unser Körpergefühl. Unser Autonomieverständnis. Unser Vertrauen in das Gespür für Grenzen. Für richtig und falsch.

Wie schnell und gedankenlos eine solche Grenzüberschreitung stattfinden kann, möchte ich an einem Beispiel aus meiner eigenen Biografie verdeutlichen:

In meiner Jugend bin ich regelmäßig im Sommer in eine Reha gefahren. Insgesamt mochte ich die Aufenthalte dort und ich konnte einiges an Verbesserung erzielen. Doch selbst in dieser Reha-Klinik für Kinder und Jugendliche war das Pflegepersonal wohl chronisch unterbesetzt, oft gestresst und ihre Arbeit oft geprägt von einem Bemühen nach Effizienz. „Ich hätte das gerne anders!“ war ein gewagter Satz. Im Sommer, als ich 14 war, hatte ich während es Aufenthalts meine Tage. Eine der Schwestern verlangte von mir, einen Tampon zu benutzen. Ich erklärte ihr, ich habe es mal mit Tampons versucht, das tue mir aber sehr weh, ich hätte wohl zu viel Körperanspannung und ich nutze daher Binden. Sie sagte, das ginge nicht, es sei ihr zu viel Arbeit und Schmiererei und ich hätte es wohl noch nicht ordentlich versucht. Außerdem sei es ganz normal, in meinem Alter einen Tampon zu nutzen.

Long story short: Sie hat mir gegen meinen Willen und unter meinen Schmerzenslauten einen Tampon eingeführt. Man könnte auch sagen, sie hat mir unter Schmerzen, gegen meinen Willen einen Gegenstand vaginal eingeführt.

Wie krass das eigentlich war und wie unglaublich grenzüberschreitend, war der Frau nicht klar. Die wollte nur effizient arbeiten. Und ist über die Jahre dermaßen abgestumpft.

Ich sollte dazu sagen, dass ich die überwältigende Mehrheit meines Lebens von mir vertrauten Personen, meist Familienmitgliedern gepflegt wurde. Bis zum Auszug eigentlich fast ausschließlich.  Außer in den paar Wochen Reha-Aufenthalten. Dass ich trotzdem eine solche Geschichte erzählen kann, lässt mich nichts Gutes erahnen.

Bei mir handelt es sich lediglich um eine einzelne Erfahrung. Und selbst die hat eine langfristige Wirkung gehabt. Zusätzlich dazu, dass ich mich als Teenagerin mit Behinderung unattraktiv gefühlt und mich gefragt habe, ob es Stellungen gibt, in denen ich Sex haben könnte, habe ich jetzt auch noch gedacht, dass ich gar keinen Sex habe könnte, ohne höllische Schmerzen zu haben. Jahrelang habe ich mich mit dem Gedanken herumgeschlagen, war entmutigt und habe mich geschämt. Durch Internetrecherche bin ich auf den Begriff des Vaginismus gestoßen. Er hat gepasst und auch, wenn ich frustriert war, weil ich nichts, aber auch gar nichts darüber gefunden habe, ob die Verspannung und Verengung der Beckenboden- du Vaginalmuskulatur etwas mit meiner Spastik zu tun haben könnten, hat es mir geholfen, zu wissen, dass es das gibt. – Warum zur Hölle gibt es da eigentlich keine Studien zu?! Ich habe jetzt schon öfter von anderen Frauen mit Spastik und ähnlichen Problemen gehört! - Ich habe die Recherche nach dem Warum dann erstmal eingestellt und habe für mich die vorläufige Antwort gefunden, dass ich wohl Vaginismus habe und dieser wahrscheinlich zum Teil von der Spastik und zum Teil aus der traumatischen Erfahrung herrührt. Wer eine Spastik hat, weiß auch, dass sich diese zum Teil durch Angst, Schmerzgedächtnis usw. ohnehin verstärkt.

Ich habe tief Luft geholt und beschlossen, mich dieser Verspannung meines Körpers anzunehmen und mit und an ihr zu arbeiten, wie an anderen Spastiken auch. Durch dehnen, massieren, Körpergefühl für die Region entwickeln. Das Problem war nur: Wie sollte ich das alleine schaffen? Für andere Körperregionen kann man zur Physiotherapie, zur Ergotherapie gehen und Assistenzkräfte bitten, einem zu helfen. Bei dem Thema nicht. Ich habe mich überwunden, habe mit meiner Mutter und mit Freunden gesprochen. Habe ein Buch mit Übungen zu Vaginismus durchgearbeitet. Es hat geklappt!

Doch was bleibt, sind eine schlimme Erinnerung und kritische Gedanken: Ich habe nur eine Grenzüberschreitung, eine Gewalterfahrung gemacht. Aber Menschen mit Behinderung machen diese Erfahrungen ständig im großen und kleineren Stil in ihrem Alltag.  Und wenn dies mehrfach passiert, kommt es zu einem dauerhaften Lernprozess.  Wenn man sich zum Beispiel immer wieder über die Bedürfnisse eines Kindes oder Jugendlichen hinwegsetzt, beginnt er*sie infrage zu stellen, ob diese berechtigt sind. Insbesondere Kinder und Jugendliche brauchen eine Rückmeldung, dass ihre Gefühle und instinktiven Reaktionen adäquat und berechtigt sind. Dieser Prozess wird im psychotherapeutischen Zusammenhang „Validierung“ genannt. Geschieht dies nicht, trainieren sich Menschen dysfunktionale Verhaltensmuster an. Sie verlieren mitunter ihren Bezug zu bestimmten Gefühlen und Bedürfnissen, sodass sie ihnen nicht mehr als Informationsquelle zur Verfügung stehen.

Hinzu kommt die Lernerfahrung, dass es nichts gebracht hat, seine Gefühle und Bedürfnisse zu artikulieren. Hat man diese Erfahrung oft genug gemacht, kommt es zur sogenannten „erlernten Hilflosigkeit“: Man verharrt in der unangenehmen Situation selbst dann, wenn man theoretisch die Möglichkeit hat, sich zu befreien. Somit braucht man nicht mal mehr die implizite Überzeugung zu haben, die Grenzüberschreitung sei berechtigt, um sie zu dulden.

Wir müssen darüber reden. Wir müssen jungen Menschen mit Behinderung jeder Art das Selbstbewusstsein auf den Weg geben, auf ihre innere Stimme Zu hören. Die sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung wird aktiv verhindert durch die Erfahrung von physischer und psychischer Gewalt, durch das Normalisieren von Grenzüberschreitungen, das Nicht-Wahren von Intimsphäre.

Ich bin ein erwachsener Mensch. Mein Körper gehört mir. Er ist wertvoll und ich sorge für ihn. Er ist attraktiv und ich entscheide, wer ihn berührt.

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