AA

Behinderung und Sexualität

Erfahrungsbericht von BeN

In diesem Text befasse ich mich mit dem Zusammenspiel von Behinderung und Sexualität. Persönlich differenziere ich zwischen Sex und Sexualität. Aus meiner Perspektive sind das zwei  unterschiedliche Welten. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass das Ausleben von Intimität und Sexualität sehr persönlich ist. Jeder Mensch entscheidet für sich welche Bedürfnisse mensch wie ausleben will oder kann.
Ich beginne mit dem Begriff des Sex, nicht nur weil der Begriff Sex kürzer ist als das Wort Sexualität, sondern weil er die Weiten der Sexualität meiner Meinung nicht erreichen kann und sehr einschränkt.

Beim Sex begegnen sich zwei Menschen. Der eine Mensch hat ein Bedürfnis, welches er befriedigt haben möchte. Sein Gegenüber hat die Bereitschaft, dieses Bedürfnis zu befriedigen, erwartet jedoch eine Gegenleistung. Werden sich beide einig, entsteht ein Tausch. Diese Beziehung ist durch den Tausch geprägt.
Auch bei der Sexualität begegnen sich zwei Menschen. Diese zwei Menschen haben eine andere Ausgangslage. Sie haben eine Neugierde, ein Interesse an ihrem Gegenüber. Wer ist dieser Mensch? Wie denkt dieser Mensch? Wie fühlt dieser Mensch. Was macht  diesen Menschen aus das mich fasziniert? Wir nennen diese Phase «kennenlernen». Ist der Wunsch von beiden vorhanden, entwickelt sich dieses Kennenlernen zu einer Beziehung weiter. Die Beziehung wird intensiviert und sind beide bereit, tauchen beide in die Weiten der Sexualität ein. Vielleicht am Anfang behutsam und vorsichtig. Mit der Zeit kann weiter in das Vertrauen und die Intimität abgetaucht werden. Bei der Sexualität entscheiden beide gemeinsam, wie weit Intimität zugelassen und gelebt wird. Möchte doch jeder, dass sich sein geliebter Mensch wohl fühlt. 

Das Bedürfnis nach menschlicher Nähe, Wärme und Intimität, nach Streicheleinheiten und Zärtlichkeiten ist ein menschliches und macht auch keinen Halt vor Menschen mit Behinderungen. Das  Grösstmögliche was ein Mensch an Nähe erleben kann, ist die körperliche Vereinigung mit dem Menschen in den sich mensch verliebt hat. Diese Vereinigung mit seinem geliebten Menschen verstehen ich als Sexualität. 

Als ich begann mich mit den Themen für diesen Text auseinander zu setzten, googelte ich die Begriffe Sexualität und Behinderung. Zu meiner nicht sehr grossen Überraschung wurden sehr viele Seiten vorgeschlagen, die ich nach meiner Definition mit Sex in Verbindung brachte. Und die Angebote richten sich zum sehr grossen Teil an Männer. Ich habe den Eindruck, diese Dienstleistungen spriessen aus dem Boden wie Unkraut nach dem ersten warmen Frühlingsgewitter. Liegt Herbert Grönemeyer in seinem Lied «Männer» tatsächlich richtig, wenn er singt,
«… Männer zahlen für Frauen…»?
Im gleichen Lied singe er jedoch auch «… Männer brauchen viel Zärtlichkeiten…». Schliessen sich diese beiden Aussagen nicht aus? 

Wenden wir uns nochmals der These von Grönemeyer hin, dass Männer für Sex zahlen. Weswegen nehmen Männer, auch Männer mit Behinderung, diese Dienstleistung in Anspruch? Reduzieren sie die ganze Weite der Gefühlswelt auf einen kurzen Moment? Oder fügt sich Mann mit Behinderung dem noch gängigen Vorurteil, Mann mit Behinderung kann kein Familienoberhaupt und Ernährer sein? Schaue ich mich in meinem kleinen Bekanntenkreis bei Männern um, die in einer Partnerschaft leben, leben die meisten in einer gemischten, langjährigen Partnerschaft. Diese Beispiele widerlegen somit das oben genannte Vorurteil.

Überrascht war ich, dass ich bei meinen Recherchen im Netz nicht auf mehr Seiten gestossen bin, die sich an Partnersuchende mit Behinderung richten. Ich gehe sehr davon aus, dass das Bedürfnis nach einer länger anhaltenden Partnerschaft genauso vorhanden oder grösser ist als jenes nach kurzlebigem Sex. 

Bedeutet das, dass die Gesellschaft Männern das Ausleben seines Triebes durch ein kurzzeitiges, käufliches Erlebnis zugesteht. Im Umkehrschluss jedoch Frauen das Ausleben des gleichen Triebs, vielleicht aus moralisch Gründen, nicht zugesteht kann oder will? Spinnen wir doch diesen Faden noch weiter. Sicher sind wir uns einig, dass auch Frauen Bedürfnisse haben und diese auch ausleben möchten . Würde es die Gesellschaft  tolerieren oder sogar akzeptieren, gäbe es das gleiche käufliche Angebot wie für Männer auch für Frauen? Das ist doch Emanzipation? Gehen wir von dieser Emanzipation aus, müssten diese käuflichen Angebote doch leichter zu finden sein. Oder finde ich diese Angebote nicht, weil ich ein Mann bin?

An dieser Stelle möchte ich die Thematik um den käuflichen Sex verlassen und mich der Beziehung hinwenden.
Nicht nur im Netz gibt es deutlich weniger Onlineportale für Menschen mit Behinderung, die eine Partnerschaft suchen, als solche für Menschen ohne Behinderung Auch Partnerschaftsinstitute gibt es deutlich weniger die für Suchende mit Behinderungen offen sind. Gehen wir nochmals davon aus, dass der Wunsch nach einer Partnerschaft ein menschliches Bedürfnis ist und nicht durch die Behinderung beeinflusst wird, stellt sich die Frage, warum dem so ist. Möglicherweise spielen ökonomische Gründe eine Rolle. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass Partnerschaftsinstitute sehr zurückhaltend sind,  Menschen mit Behinderung aufzunehmen. Begründet wird das mit dem hohen Betreuungsaufwand oder der geringen Chance auf Erfolg, was eine finanzielle Einbusse für die Partnerschaftsinstitute bedeutet. Ich kann nur spekulieren, ob die Ablehnung nur Männer erleben oder auch Frauen davon betroffen sind. Auch wenn das im ersten Moment ein Dämpfer und hart sein mag, muss den Instituten, die sich gegen eine Aufnahme von Suchende mit Behinderungen entscheiden, auch eine Ehrlichkeit zugestanden werden.

Hinweis zu Cookies

Unsere Webseite verwendet Cookies, um Ihr Online-Erlebnis zu verbessern. Mit der weiteren Nutzung der Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.