AA

Körperkontakt

Erfahrungsbericht von Charlotte Zach

In dieser Kolumne möchte ich ein paar Ideen mit Euch teilen, die mir persönlich geholfen haben, selbstbewusst mit meinem Körper umzugehen. Aber was bedeutet dieses „selbstbewusst“? Für die meisten Menschen hat das Wort eine ähnliche Bedeutung wie „stolz“. Das fand ich allerdings eine etwas hohe Erwartung an mich, wenn es um meinen Körper geht, angesichts der Tatsache, dass ich in einer ableistischen Gesellschaft aufgewachsen bin, in der man mir und anderen Menschen mit Behinderung kontinuierlich zu verstehen gibt, dass der eigene Körper minderwertig und fehlerhaft bis hin zu hässlich und eklig ist. Stattdessen suchte ich einen Weg, meinem Körper erst einmal wertfrei begegnen zu können. Wenn man die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „selbst-bewusst" anguckt, heißt es ja erst einmal, sich seiner selbst bewusst zu sein. Das hat mir als Aufgabe auch erstmal gereicht. Ich glaube, viele Menschen haben heute kein fundiertes Bewusstsein für ihren Körper. Oft nutzen wir unseren Körper nur noch rudimentär als Werkzeug, sodass wir seine Rückmeldungen im Alltag oft ausblenden können. Gleichzeitig werden wir alle mit Idealen überschüttet, wie diese Hülle, die nur noch so wenig Werkzeug ist, auszusehen und was sie zu symbolisieren und zu repräsentieren hat. Ich denke, den meisten von uns ist auf rationaler Ebene klar, dass diese Ideale wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Trotzdem sorgen sie dafür, dass wir uns immer weiter von unserem Körper entfernen, ihn nicht als Teil unserer selbst wahrnehmen, sondern fast schon als einen fremden Gegenstand. Oder wir blenden Teile, die den vermeintlichen Idealen nicht entsprechen, einfach aus.
Ich habe für mich gemerkt, dass das Ausblenden von Körperbereichen und Funktionen, die nicht dem medialen Ideal entsprechen, eine große Rolle in meinem Umgang mit meiner körperlichen Behinderung in der Jugend gespielt hat. Bemerkt habe ich das an Situationen, in denen ich mich beim Anschauen von Videos oder Fotos erschrocken habe, wenn Körperteile repräsentiert wurden, die ich ausgeblendet hatte, oder wenn meine Mutter mich beim Händewaschen darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich ja noch eine zweite Hand habe, die auch Aufmerksamkeit und Pflege benötigt. Doch ich brauche meinen ganzen Körper, wenn ich durch ihn in Kontakt treten möchte durch ihn mit anderen Menschen.

Tipp 1: Körper spüren und ausprobieren
Als ich mich mit Anfang 20 entschieden habe, mich aktiv dem Thema Sexualität und Behinderung zu stellen, habe ich auch angefangen, mich zu fragen, ob ich meinen Körper überhaupt wahrnehme und kenne. Ich habe festgestellt, dass der Kontakt mit meinem eigenen Körper stark durchzogen ist von pathologisierenden und defizitorientierten Blickwinkeln, die mir von außen im Rahmen von Therapie und medizinischen Eingriffen oder Begutachtung eingebläut wurden. Ich hatte fast keine Vorstellung davon, was es bedeutet, seinen eigenen Körper herauszufordern und dadurch zu spüren und kennenzulernen, ohne die defizit- und normorientierte Brille. Aus dieser Erkenntnis wuchs einer meiner ersten Tricks zu mehr Körperkontakt: ich habe angefangen, Sport und Achtsamkeitsübungen zu machen und gleichzeitig mit Physiotherapie aufgehört. Ich weiß, dass vor allem der zweite Teil nicht für jede Person geeignet und möglich ist und ich möchte mich hier auch gar nicht prinzipiell gegen Körpertherapien aussprechen, denn das wäre an der Realität von den allermeisten Menschen vorbei argumentiert. Wofür ich mich aber aussprechen möchte, ist eine aktive Auseinandersetzung, im besten Fall auch mit den Therapeuten, darüber, von welcher Perspektive man den eigenen Körper betrachtet und was diese Perspektive mit dem Wohlbefinden und der Akzeptanz des Selbigen macht. Mir hat es total geholfen, mich aktiv und stark in meinem Körper zu fühlen. Mir hat es auch geholfen, neue Bewegungen auszuprobieren, zu erlernen und nachzuspüren, wie mein Körper eigentlich funktioniert. Nach und nach wurde er so mehr, als diese dysfunktionale, halbherzig hingenommene Hülle.

Tipp 2: Trockenübungen: Stellungen für sich ausprobieren
Aus diesem ersten Trick ist nach und nach ganz natürlich ein weiterer Trick entstanden, der einen direkten Zusammenhang zu der Auseinandersetzung mit Sexualität hatte: Ich habe angefangen verschiedene Stellungen und Positionen für mich auszuprobieren, um herauszufinden, wie mein Körper auf sie reagiert, ob er sie aushält und ob sie angenehm, unangenehm oder herausfordernd sind. Da bin ich natürlich auch schnell an meine Grenzen gestoßen. So habe ich dann auch versucht, mich an mir nahestehende Personen zu wenden, damit sie mir dabei assistieren könnten. Ich hätte mir dabei gewünscht, dass ich den Mut und den Raum gehabt hätte, diese Dinge im Rahmen der Physiotherapie zu trainieren und auszuprobieren. Das habe ich mich aber nicht wirklich getraut. Ich bin aber total davon überzeugt, dass es genauso berechtigt ist, mit der Physiotherapeutin eine Sexstellung zu üben, wie es relevant ist, mit ihr Aufstehen, Transfer oder Laufen zu üben.

Tipp 3: Fürsorge für die „Fehler“
Ein weiterer Trick, der mir geholfen hat, mehr Kontakt zu meinem eigenen Körper herzustellen, war es, mich der Körperstellen anzunehmen, die ich nicht an mir mochte oder auch immer noch nicht an mir mag. Ich habe ihnen besonders viel Pflege und Zuwendung zuteil kommen lassen, habe sie angefasst, angemalt, fotografiert und mit schönen Accessoires verziert. Dabei habe ich gemerkt, wie ich mich an ihren Anblick gewöhne und Details entdecke, die ich liebenswert finde. Natürlich musste ich mir dafür erst einmal eingestehen, dass ich diese Körperteile vernachlässigt habe, aber das Gute war, dass ich niemandem davon erzählen musste, wenn ich mich dafür geschämt habe, mich für mich zu schämen. Ich konnte die Dinge einfach tun und niemand hat gewusst, welche Motivation dahinterstand, wenn ich mir die Zehennägel lackiert habe. Hilfreich war auch, dass ich mich in dieser Zeit viel mit Achtsamkeit auseinandergesetzt habe, was ohnehin eine Haltung zu Gedanken und Gefühlen schult, die nicht wertet, sondern einfach beobachtet. Dabei schließt sich der Kreislauf auch wieder zu meinem ersten Trick, der bewussten Wahrnehmung des Körpers.

Tipp 4: Fotografie
Ein weiterer wichtiger Trick für mich war das Fotografieren. Hier gibt es für mich im Prinzip zwei Bereiche: Zu Beginn habe ich vor allem Fotos von mir gemacht, die ich explizit ästhetisch fand und in denen ich meine Schokoladenseite in den Fokus gestellt habe. Zunächst bekleidet, später auch für mich unbekleidet. Diese Fotos haben mir sehr dabei geholfen, meinen Körper aus einer positiven Perspektive zu betrachten und zugleich von außen wahrzunehmen. Sie waren wichtig, um mein Selbstwertgefühl zu stärken und mich überhaupt erstmal als attraktive junge Frau wahrzunehmen. Der zweite Teil bestand danach im Prinzip aus genau dem Gegenteil. Ich habe begonnen, Fotos von genau diesen Körperteilen zu machen, mit denen ich mich nicht wohl fühle. Dies habe ich ja oben schon einmal angerissen und im Prinzip war es ein weiterer Aspekt mit dem Versuch, sich diesen Körperteilen wieder anzunähern und sie wieder mehr als Teil der eigenen Identität wahrzunehmen.
Das alles ist mir am Anfang sehr schwer gefallen und an manchen Tagen fällt es mir auch immer noch schwer. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass dies ein Schlüssel ist, um selbstbewusst mit seinem Körper und durch seinen Körper kommunizieren zu können. Ich muss in Kontakt mit mir selber stehen, um authentisch durch meinen Körper und auch über meinen Körper mit Anderen reden zu können.
Ich hoffe, einige der Tipps helfen Euch oder geben Euch das Gefühl, nicht allein auf Eurer Reise zu sein.

Hinweis zu Cookies

Unsere Webseite verwendet Cookies, um Ihr Online-Erlebnis zu verbessern. Mit der weiteren Nutzung der Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.